, Katharina Jost

Rom trifft Dagmersellen

Dagmersellen. Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der Synode, weilte im März für zwei Tage in der Schweiz und besuchte auch den Pastoralraum Hürntal.

 

Der Kardinal
Derzeit gibt es 238 Kardinäle. In der kirchlichen Hierarchie kommen sie gleich nach dem Papst. Jene rund 120 unter ihnen, die das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind Teil des Konklaves, jener Versammlung, die den Papst wählt. Es gibt Kardinäle, die kirchliche Aufgaben in ihren Ländern erfüllen, und solche, die ihr Wirkungsfeld an der römischen Kurie haben, dem Leitungs- und Verwaltungsapparat der Römisch-Katholischen Kirche. Sie werden Kurienkardinäle genannt.
Ein ebensolcher ist Kardinal Mario Grech. Der 67-jährige, gebürtige Malteser hat das Amt des Generalsekretärs der Bischofssynode inne. Als solcher schrieb er in letzter Zeit mit an der Kirchengeschichte: im letzten Herbst nahmen erstmals ausser Bischöfen auch nicht-geweihte Frauen und Männer als stimmberechtigte Teilnehmende an der Synode in Rom teil. Zu verdanken ist diese - für die römisch-katholische Kirche epochale - Veränderung dem vom Papst ausgerufenen synodalen Prozess. Mit diesem will Franziskus, dass in der Kirche alle gemeinsam unterwegs sind und die Kirche gestalten, nicht nur die Kleriker. Dabei sollen sich alle von Gottes Geistkraft leiten lassen und auf mehr als nur die eigene Stimme hören.

 

Die Schweizerin
Eine der 80 nicht-geweihten stimmberechtigten Teilnehmenden an der Synodenversammlung vom letzten Herbst in Rom war die Schweizerin Helena Jeppesen-Spuhler, Mitarbeiterin des Hilfswerks Fastenaktion und Mitglied der Steuergruppe der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». In Rom lernte die Schweizerin Kardinal Mario Grech kennen, welcher sich sehr interessierte für die Struktur und das pfarreiliche Leben der Schweizer Kirche. Kurzerhand lud Helena Jeppesen den Kardinal in die Schweiz ein. Und er kam.
Für insgesamt zwei Tage im März zu einem Treffen mit den Bischöfen und weiteren Persönlichkeiten der Kirche Schweiz in Bern und für einen halben Tag ins Hürntal. Das Treffen in Bern verlief unbefriedigend. Konfrontiert mit dringenden Forderungen wie beispielsweise der Teilhabe von Frauen an Diensten, Ämtern und Entscheidungsstrukturen schaltete der Kardinal auf römischen Verteidigungsmodus und liess einen grossen Teil der Anwesenden, darunter die gebürtige Dagmersellerin Irene Gassmann, Priorin des Klosters Fahr, konsterniert zurück.

 

Das weltweit einzigartige System
Das duale System der Schweizer Kirche, welches Kardinal Grech kennenlernen wollte, ist ein weltweit einzigartiges Konstrukt und lässt für Nicht-Schweizer überraschend viel Demokratie zu. Wenn in vielen Ländern das Geld der Kirche einzig vom Bischof oder Pfarrer verwaltet wird, ist dies in der Schweiz nicht der Fall. Hier hat der Kirchenrat die Finanzhoheit und die Kirchgemeinde bestimmt demokratisch über die Verwendung der Mittel. Das Geld ist also nicht in den Händen des Klerus, sondern alle Kirchenmitglieder bestimmen darüber.
Auf der anderen Seite gibt es aber eine Hoheit der Pastoral, die dem Pfarrer / Pfarreileiter und den Mitgliedern des Seelsorgeteams gehört. In inhaltliche Fragen beispielsweise der Seelsorge, des Gottesdienstes, des Religionsunterrichts mischt sich der Kirchenrat nicht ein. Hier ist der Pfarreirat zuständig. Er begleitet beratend und unterstützend die Arbeit der Seelsorger und Seelsorgerinnen. Pfarreiräte gibt es weltweit nur in einer Minderheit von Pfarreien.

 

Der Besuch
Kardinal Mario Grech wollte also die duale Struktur und das Leben einer Schweizer Pfarrei kennenlernen; einer Pfarrei, die nicht von einem Priester geleitet wird und wo Frauen in der Seelsorge arbeiten. Helena Jeppesen schlug ihm vor, den Pastoralraum Hürntal zu besuchen.
Die Hürntaler Kirchenleute hatten von dem nicht optimal verlaufenen Gespräch des Kardinals mit Kirchenvertretern und -vertreterinnen am Vortag in Bern gehört und warteten etwas angespannt auf den römischen Kirchenmann. Mit am Tisch sassen der Kirchenratspräsident, die Pfarreiratspräsidentin, alle Mitglieder des Seelsorgeteams, die Leitungsassistentin und ein ehemaliger Jublaleiter. Die ersten zwanzig Minuten der Begegnung verliefen etwas steif. Aber mit jedem Statement, mit dem die Anwesenden ihre Bereiche vorstellten, brach das Eis mehr. Es wurde ab und zu gelacht und der Kardinal zeigte sich als ausgesprochen interessierter und guter Zuhörer. Seine römische Prägung schien zwar immer wieder durch, aber er liess auch eine grosse Offenheit durchblicken.
Diese zeigte sich überraschend auch bei Themen, bei denen der Pastoralraum Hürntal im Clinch mit der Bistumsleitung in Solothurn liegt, wie beispielsweise dem fehlenden Priestersitz oder der Praxis, das Kommunionfest ohne Priester zu feiern. Dazu der Kardinal: «Wir haben in der Kirche weit grössere Probleme». Dass in der Dagmerseller Kirche in der Fastenzeit die Osterkerze entgegen der Vorschrift des liturgischen Kalenders nicht weggeräumt war, monierte er zuerst. Auf die Erklärung des Pastoralraumleiters Andreas Graf - «wir brauchen auch und gerade in dieser Zeit Licht» - meinte der Kardinal: «Da stimme ich mit Ihnen überein.» Und die Pflicht, einen Pfarreirat zu haben, will er am liebsten im Kirchenrecht verankern.
Auf die Schlussfrage des Pastoralraumleiters, was von dem, was er beim Besuch gehört und gesehen habe, überraschend für ihn gewesen sei, antwortete er mit «Alles». Und fügte an, dass ausserhalb der Schweiz wenige Pfarreien so funktionierten und dass dies für ihn die Pfarrei der Zukunft sei. Und bei der Zugfahrt zum Flughafen sagte der Mann aus Rom zu Reisebegleiterin Helena Jeppesen: «This was the best part of my visit».